Zu Besuch im Utopia
Nachdem Stefan mich kürzlich mich mit einem Überraschungsgast in seinem Schlepptau besuchte, fand ich vorgestern den Weg aus den Voralpen, dem südlichsten Teil des Kanton Aargau in den nördlichsten Teil. Dort, wo die Flüsse sich treffen, unweit des Schwarzwaldes und wo sich vermutlich Fuchs und Hase Gut Nacht sagen. Da der erwähnte Überraschungsgast, ein enger Heimkinokollege von mir, inzwischen unweit von Stefan wohnt, ist mir die Gegend nicht gänzlich unbekannt. Just als ich mich in den engen Strassen des Kleinstädtchens befand, erinnerte mich wieder an eine Rückfahrt von einem Heimkinotrip in Deutschland, als ein Kollege anerkennend zu mir meinte: "das ist eigentlich noch eine schöne Gegend hier, aber das ist hier auch ganz schön am Arsch der Welt" und diese Aussage quittierte ich mit einer Anlehnung an ein Filmzitat: "Ja, wirklich schön, der Arsch der Welt wird häufig unterschätzt !"
Ich "kannte" Stefans Kino bereits aus dem Forum und auch durch seine Beschreibung. Ich war dennoch gespannt. Es gibt nämlich einige Dogmen oder Mantren in der Heimkinoszene, die zwar meiner Meinung nach nicht grundsätzlich falsch sind, aber nach meinem Dafürhalten auch stark vereinfachend sind. Eine dieser Dogmen lautet: "Für eine gute Immersion braucht man ein grosses Bild". Ergo lautet ein häufig geäusserter Wunsch an Heimkinobauer: "Bildgrösse bitte so gross wie möglich !" Daraus könnte man dann mit Blick auf eine Bildgrösse von 83" fälschlicherweise schliessen: da kann man also keine gute Immersion erwarten.
Nach meiner Ankunft zeigte mir Stefan seinen Gerätepark, der wunderschön in einem Spezialmöbel Platz fand. Aber bevor es ins Kino ging, zeigte er mir erstmal den "Schwesterraum" des Kinos: ein kleines Gästezimmer mit Dachschräge. Manche würde das wohl despektierlich als "bessere Besenkammer" beschreiben, doch ganz so klein war es dann doch nicht. Ich stellte mir vor, dass man wohl ambitioniert oder mutig, um nicht zu sagen verwegen sein muss, um auf die Idee zu kommen, einen solchen Raum in ein Kino verwandeln zu wollen. Mit diesen Gedanken öffnete Stefan mir dann die Schallschutztür zu seinem Kino, womit ich quasi innert Sekunden die Metamorphose eines Gästezimmers zu einem Kino erlebte. All die vielen Stunden der Planung, die Zweifel über den Erfolg, das Herzblut und den Schweiss, die sicherlich dazwischen lagen, konnte ich nur erahnen.
Ich sah nun keine schwarze Höhle, sondern einen farblich gelungen Mix aus schwarzen und roten Stoffflächen, unterbrochen von hellerem Holzflächen. Beim näheren Hinsehen war die handwerklich perfekte Ausführung im Detail überall sofort sichtbar. Der grosse OLED und einige Lautsprecher waren ebenfalls sichtbar - entgegen dem Trend, diese verschwinden zu lassen zwecks einer cleanen Optik. Je länger ich mir das ansah, desto mehr gefiel mir das Ganze. Ich brauchte trotz Vorwarnung aber einen Moment, bis ich mich vom Ideal des riesigen Kinos und möglichst grosser Leinwand lösen konnte, und mich auf den Raum wirklich vorbehaltlos einlassen zu können. Ich nahm Platz und Stefan spielte mir unbekannte Musik vor, von Stereo über 5.1 und auch Atmos. Die Räumlichkeit des Klangs war so gut, dass ich kaum einen Unterschied in den Tonformaten wahrnahm und ich kaum wusste, welche Lautsprecher jetzt genau aktiv waren. Der Bass war ausgeprägt und spürbar, aber jederzeit kontrolliert. Die Höhen waren keinesfalls nervend für mich, obwohl die Lautstärke deutlich höher lag, als ich das gewohnt bin. Obwohl wir sehr laut hörten, klang nichts unnatürlich, sondern es klang immer sehr präzis und definiert. Ich bin nicht der musikalische Feingeist, aber ich denke, das war weit mehr als nur ordentlich, sondern absolut erstklassig.
Stefan schlug vor, nun eine Pause einzulegen, und es ging zu Tisch, wo ein grosses Steak (perfekt gegrillt !) inkl. Beilage auf uns wartete. Stefans Frau war auch da und wir genossen zu Dritt ein sehr schmackhaftes Abendessen in angeregter Diskussion, wo man sich näher kennenlernte. Ich vergass dabei schon fast, dass ich ja eigentlich noch einen Blick auf das Bild werfen wollte. Stefan hatte mich ja im Vorfeld um meine Meinung gebeten in der Hoffnung, dass ich ihm dabei helfen könnte, den Fehler in der Kette zu finden.
Ich nahm also wiederum Platz und wir begutachten einige Filmszenen. Nun war das Bild zum Glück auf den ersten Blick nicht ganz so daneben, wie ich nach Stefans Schilderungen vermutet hatte. Aber spätestens beim zweiten Blick war unübersehbar, dass zu viele Details nahe Schwarz absoffen. Auch wirkten die Farben etwas übersättigt und obwohl Farbtemperatur soweit ok war, galt es nun den Fehler zu finden. Ein Blick in die madVR Einstellungen zeigte teilweise etwas für mich ungewöhnliche Einstellungen, aber nichts, was definitiv komplett unsinnig war. Ich widerstand der Versuchung, bei den madVR Einstellungen alles komplett über den Haufen zu werfen, und wir fanden dann den Fehler innert nützlicher Zeit bei den Einstellungen des OLED. Es blieb also genug Zeit, Stefan einen madVR-Crash Kurs zu geben und dabei verschiedenste Filmszenen zu begutachten. Und hier bestätigte sich, was ich im Freundeskreis schon wiederholt sagte: Bildgrösse ist ein wichtiger Faktor für die Immersion, aber beileibe nicht der einzige. Sitzabstand, Relation zur Bildgrösse; Raumoptimierung, inklusive allfällige Reflektionen an den Wänden, Boden, Decke ... auch die Lautstärke des Projektors kann stören und die Immersion leidet.
Was ich dann sah, war dennoch eine kleine Ueberraschung: die Immersion war weit, weit überdurchschnittlich. Ich nahm keine Decke oder Boden wahr, auch keine Lautsprecher. Dank des tollen Schwarz des OLED schwebten manche Bilder oder Schriften im Raum. Genauso soll es sein. Toll !
Die Dachschräge, die das Gästezimmer optisch dominierte, war hier im Kino sehr unauffällig integriert. Beim näheren Betrachten käme man sogar auf die Idee, diese müsste man genau so bauen, wenn sie nicht schon eh da gewesen wäre. Eingangs hatte ich noch vermutet, dass etwas mehr Bildhöhe dem Kino gut täten. Das widerlegte die Praxis. Mehr Bildhöhe hätte IMO zur Folge, dass bei der Sitzposition der Abstand bereits zu klein würde, weil man dann IMO das Bild nicht mehr alles unangestrengt überblicken könnte. Einzig etwas mehr Bildbreite wäre vermutlich wünschenswert, wobei dann die roten Seitenpanels zumindest mich dann wohl stören könnten. So aber passt das ganz hervorragend. Und ich verstand jetzt Stefan, als er bei mir meinte, in meinem Kino entstünde ein ähnlicher Eindruck wie bei ihm zuhause. Die Gemeinsamkeit ist, dass man praktisch nur das Bild registriert und kaum etwas das stört. Und nur so kann man IMO eintauchen.
Unter dem Strich hat Stefan IMO ein extremes Kino gebaut. Dass das so gut funktioniert, war einerseits eine gewisse Bestätigung für mich, aber das Ausmass hat mich dennoch etwas überrascht. "Etwas weniger, dafür gut !" hat sich hier mehr als bestätigt. Etwas weniger gross, kann nämlich sogar extrem gut sein.
Es war dann bereits weit, weit nach Mitternacht, als ich mich wieder auf den Weg machte. Ich konnte das Erlebte in aller Ruhe Revue passieren lassen und im Nu war ich wieder zu Hause.
Vielen Dank Stefan für Eure Gastfreundschaft und bis ein anders mal !